Dafür darf es an den Wegrändern gerne etwas wilder aussehen. Wo – wenn nicht hier? Die Wegrandstreifen sind Bereiche, die heute nur noch gepflegt werden, damit Wege nicht
überwuchert werden und weil sie eben da sind. „Eh – Da“-Flächen werden solche Bereiche genannt, Grünflächen, die keinerlei landwirtschaftliche Bedeutung haben. Neben Aspekten
des Naturschutzes konzentrieren sich die Bauhöfe der Gemeinden bei der Pflege der Randstreifen natürlich auf Anforderungen der Verkehrssicherheit oder die Belange der
Anrainer. „Für all diese Anforderungen gibt es viel Spielraum, denn nicht jeder Saum hat das Potential zur blütenreichen Biotopvernetzung. Viele Wegränder sind heute vergrast,
schmal und nehmen für die Natur nur eine untergeordnete Rolle ein“, erklärt die Landschaftsökologin.
Bernd Vogel, ehrenamtlicher Naturschützer aus Wartenberg, weiß auch warum: Die Wegsäume spielten in der Vergangenheit tatsächlich noch eine Rolle zur landwirtschaftlichen
Futtergewinnung. Wanderschäfer trieben ihre Tiere über die Wegränder und ließen diese dort weiden, sodass magere, blütenreiche Säume – ähnlich der wertvollen Magerrasen –
entstanden. Diese Form traditioneller Nutzung lässt sich heutzutage kaum mehr umsetzen. Der Aufwuchs der Wegsäume kann nicht mehr verwertet werden. Zum Einsatz kommen im
Regelfall Mulchgeräte, die den zerkleinerten Aufwuchs auf der Fläche liegen lassen. Doch auch mit dieser Pflegetechnik kann ein artenreicher Wegrand gepflegt werden.
In Wartenberg ist die ökologische Bedeutung der Wegränder schon seit mehreren Jahren Thema. Unter Federführung des Bauhofleiters Marco Stein befahren die Bauhofmitarbeiter
gemeinsam mit Bernd Vogel die Wartenberger Gemarkungen regelmäßig einmal im Jahr und prüfen, welche Wegsäume schon Mitte Juni und welche erst im Herbst gemäht werden sollten.
In diesem Jahr nahm auch Bürgermeister Olaf Dahlmann an der Bereisung teil.
Für Marco Schröder, Bauhofleiter in Schotten, ist eine Anpassung der Mulchtermine der Wegränder eine Win-Win-Situation: Schotten setzt auf einen Pflege-Mulchgang alle zwei
Jahre statt jährlich. Davon profitieren auch seltene und geschützte Arten wie zum Beispiel der seltene Schmetterling Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Nur eine einzige
Pflanzenart, der Große Wiesenknopf, ist für den Schmetterling zur Eiablage geeignet – und das auch nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Große Wiesenknopf wächst in vielen
feuchteren Wegrand- und Grabenbereichen. Wird er erst spät oder in einem Jahr gar nicht abgemäht, kann sich der Schmetterling dort ungestört vermehren. Schröder freut sich,
dass er auf diese Weise nicht nur der Natur einen Dienst erweisen kann, sondern gleichzeitig die umfangreichen Pflegearbeiten des Schottener Bauhofs erleichtert werden –
letztlich muss jedes Jahr deutlich weniger Wegrandfläche gemulcht werden.
Der Schwalmtaler Bürgermeister Timo Georg sieht das Thema noch differenzierter: Zusammen mit den Mitarbeitern der Gemeinde hat er sogar einen eigenen Pflegeplan mit
Empfehlungen für bestimmte Typen von Wegsäumen entwickelt. Davon profitieren neben Insekten auch selten gewordene Vögel wie der Neuntöter, der in Schwalmtal noch gefunden
werden kann. Der Pflegeplan soll nicht nur vom Bauhof umgesetzt werden, sondern auch interessierten Einwohnern von Schwalmtal zugänglich gemacht werden. Allen Maßnahmen gemein
ist ihre Einfachheit: Eine einfache Terminverschiebung beim Mähtermin kann bereits großen Nutzen für die Natur bringen. Weniger Pflege ist hier oft sogar mehr. Nur ganz
einstellen sollte man sie nicht. Würde ein Wegsaum dauerhaft nicht gepflegt, würde er mit Gehölzen zuwachsen. Die Untere Naturschutzbehörde des Vogelsbergkreises wird die
Pflege und Entwicklung der Wegsäume auch in den Folgejahren begleiten und steht interessierten Kommunen beratend zur Seite. Im Rahmen des Insektenschutzprojektes wurde 2021
den drei teilnehmenden Projektpartner-Kommunen zusätzlich Material zur Öffentlichkeitsarbeit, gefördert aus Mitteln des Landes Hessen zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie
durch das Regierungspräsidium Gießen, zur Verfügung gestellt.